Ich habe zunehmend ein Problem mit dem Begriff „queer“, vor allem wenn er pauschal als Sammelbegriff für alles verwendet wird, was nicht hetero und cis ist. Für mich verwischt dieser Begriff wichtige Unterschiede und ersetzt klare Identitäten wie bisexuell, lesbisch oder trans – und genau das empfinde ich als problematisch. Ein Beispiel: Wenn über historische oder öffentliche Personen gesagt wird, sie seien „queer“, ohne weiter zu erklären, inwiefern – dann bleibt alles vage. War die Person bisexuell? Lesbisch? Trans? Asexuell? Oder wird „queer“ einfach benutzt, weil man es nicht genauer weiß? Für mich ist das keine Sichtbarkeit, sondern eher eine Vernebelung. Gleichzeitig finde ich es problematisch, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität unter einem Begriff zusammenzufassen, obwohl das sehr unterschiedliche Dinge sind. Eine bisexuelle Frau und eine trans Person haben nicht „die gleiche Identität“, nur weil beide nicht der Norm entsprechen.
Ich verstehe, dass „queer“ für manche ein empowernder Begriff ist, und das möchte ich niemandem absprechen. Aber für mich persönlich fühlt es sich eher so an, als würden klare Selbstbezeichnungen ersetzt, statt respektiert zu werden. Ich wünsche mir mehr Präzision und weniger Schubladen, nicht neue Sammelbegriffe, die alles überdecken. Geht es noch jemandem so? Wie erlebt ihr den Begriff „queer“ hilfreich oder eher problematisch?
Wie gesagt, ein Sammelbegriff, kann ja dann noch ergänzend präzisiert werden, aber ich persönlich finde "queere Menschen" geht sehr viel leichter von der zunge als "lgbtqia+ community"
Für mich ist genau diese Vernebelung der Punkt. Die Grenzen sind eben sehr oft fließend, und einige (mich eingeschlossen) finden es oft passender, etwas vager zu sein anstatt sich in drölf microlabels zu verlieren die eh keine Sau außerhalb des Internets kennt.
Bei deinem Beispiel mit den Historischen Personen kommt dazu, dass man die nicht wirklich fragen kann. Da gibt es dann zwar klare Hinweise, dass diese in der einen oder der anderen Form queer waren, aber wenn keine Quelle mit Selbst-bezeichnung zu irgendeiner Identität da ist, wird das bewusst Vage gehalten.
Als letztes möchte ich noch eins loswerden - ich glaub nicht, dass das hier böse gemeint ist. Aber das Schöne am "Queer"-Label is das selbe wie mit der Regenbogenflagge. Es ist ein Regenschirm für alle nicht-cishet leute, und schließt eben keine "kleineren" label aus. Grade in so Zeiten wo es viel Gesellschaftliche Spaltung und so diesen ganzen LGB-without-the-T dummfick gibt, ist es viel wert, einen simplen Community-Begriff zu haben.
Ganz deiner Meinung.
Wenn ich mit anderen queeren Menschen rede, dann sind genaue Labels relevant. Genau so, wenn es um spezielle Themen innerhalb der Community geht.
Aber oft kann es zielführender sein, sich als einheitliche Community zu bezeichnen. Das macht uns nach aussen hin weniger spaltbar, finde ich. Und auch innerhalb der Community finde ich den Fokus auf Zusammenhalt und Gemeinsamkeiten wichtig (wie du schon sagtest, LGB without the T kann sterben gehen).
Aus einem ähnlichen Grund trage ich persönlich zB bevorzugt die Regenbogenflagge. Es geht fremde Leute in der Öffentlichkeit nichts an, welche genauen Labels ich benutze. Aber es ist mir wichtig, von anderen als queer erkannt zu werden. (Sichtbarkeit und so)
Edit: ausserdem finde ich es manchmal schwer zu sagen, wo Präzision aufhört und Schubladen anfangen...
Sehe ich in etwa auch so
Danke für die ausführliche Antwort. Ich verstehe den politischen und gemeinschaftlichen Gedanken hinter „queer“ als Dachbegriff gerade im Kontext von Rechten, Sichtbarkeit und Solidarität. Mir geht es auch nicht darum, diesen Gedanken grundsätzlich abzulehnen.
Bisexuell, lesbisch und trans sind für mich keine „Microlabels“, sondern klare, etablierte Identitäten mit unterschiedlichen Herausforderungen. Diese Unterschiede halte ich für relevant, nicht spalterisch.
Ich habe kein Problem damit, dass manche Menschen bewusst vage bleiben oder sich selbst als queer bezeichnen das ist ihr gutes Recht. Mir geht es darum, dass Präzision dort möglich und sinnvoll ist und nicht durch Bequemlichkeit oder politische Vereinfachung ersetzt wird.
Ich glaube ihr redet einfach aneinander vorbei. Niemand in der Community hat ernsthaft vor irgendwelche Labels abzuschaffen (mit welcher Autorität überhaupt). Queer ist ein zusätzlicher Sammelbegriff, der immer da sinnvoll ist, wo es eine ganze Reihe von Identitäten/Labeln geht. Z.B. weil man selbst mehr Label hat als man gerade aufzählen will oder weil es um eine diverse Gruppe geht.
Ich verwende queer für die Community an sich, oder wenn ich die Identität einer Person nicht genauer definieren kann bzw. will.
Wenn ein Mann mit einem anderen Mann flirtet, weiß ich nicht, ob er schwul oder bi ist. Eine mir unbekannte Person die auf mich androgyn wirkt könnte nonbinär sein, oder binär trans, oder gender nonconforming. Ich kenne Leute, die sind lesbisch und asexuell und nonbinär. Oft hat man einen Freundeskreis von verschiedene Personen mit verschiedenen Identitäten. Manchmal will ich nicht näher spezifizieren, was genau ich bin, aber dass ich Teil der Community bin.
In all diesen Situationen ist „queer“ ein praktischer Begriff.
Edit: Was historische Personen angeht, weiß man es halt wirklich oft nicht zu 100% genau, weil sich die Lebensrealität nicht 1:1 übertragen lässt. Da ist „queer“ richtiger, als eine bestimmte Identität überzustülpen.
Nun, ich finde beides sinnvoll: einerseits ein Begriff zu haben, der alles nicht-hetero einschließt und leichter von der Zunge geht als LGBTQI+.
Andererseits aber auch die nötigen Begriffe zu haben, wenn Präzisierung notwendig oder geboten ist.
Ich habe weder mit den einen, noch den anderen ein Problem. Beides kann für sich stehen.
Schöne Feiertage!
Ich bin persönlich nutze dieses Wort LGBTI+ viel lieber Ganz früher haben wir noch gesagt LGBT Und jetzt haben wir noch weitere dazu genommen, was auch richtig ist.
Das sei dir ja unbenommen.😊
Ich finde weder das eine noch das andere kann ein Ersatz sein. Je nach Situation nutzt man das was sinnvoll oder am treffensten ist. Zumindest halte ich es so.
Beispielsweise würde man nicht von einer "Queer Bar" sprechen wenn man eine Gay Bar/Schwulenbar meint. Üblicherweise treffen sich dort ja schwule Männer (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Andererseits würde es der Sache nicht gerecht werden, wenn man beim CSD von einer "Schwulenparade" sprechen würde. Da würde man all die anderen Mitglieder ausschließen.
Leider sind viele Begriffe aus dem Englischen übernommen. Einerseits macht es die Sache etwas einfacher, andererseits wird die Geschichte dieses Begriffes selten übernommen.
Diese Diskussion ist ja nicht neu und bisher haben wir nichts besseres gefunden. Das heißt nicht, dass du diese Frage nicht stellen darfst, nur dass wir da noch immer ringen.😊
Vielleicht ist es dieses Ringen das irgendwann Mal zu einem besseren Begriff kommt.🤷♂️
Ich persönlich mag ja GRSM - Gender-, romantische und sexuelle Minderheiten ...
Auch gut. Ist aber nicht so bekannt wie Queer oder LGBTQI+. Dazu gibt es leider noch gar keinen Wikipedia-Eintrag.
Ich fürchte, jeder hat so seine Befindlichkeiten und viele Begriffe sind historisch gewachsen. Damals gab es nur schwul, lesbisch und evlt. noch trans. Andere Lebensrealitäten waren nicht wirklich sichtbar. Das hat sich erst seit neuerer Zeit gewandelt. Und das ist auch gut so!
Das zeigt aber auch den Mangel an der Sprache. Denn Sprache war schon immer "die Grenzen meiner Welt." Was wir nicht exakt benennen können ist für uns als Mensch nicht wirklich existent.
Entweder wir importieren Begriffe (meist aus dem Englischen) wie queer, gay usw. was auch so Probleme mit sich bringt. Oder wir erfinden im Rahmen unserer Sprache was neues. FLINTA scheint ja eine deutsche Abkürzung zu sein und durchaus in bestimmten Kreisen bekannt.
Das braucht noch viel Kopfzerbrechen um Begrifflichkeiten, Definitionen usw. zu finden.
Ich sehe das aber nicht unbedingt als Problem an. Wie oben schon angedeutet, können viele nebeneinander stehen.
In den letzten Jahren kommen immer irgendwelche Begriffe, da verlier ich den Überblick.
Sprache tut Sprachendinge. Das Akronym wird auch immer länger, von LGBT über LGBT+ und LGBTQIA+ ...
Ein Sammelbegriff ist doch per Definition nie als Ersatz für die zusammengefassten Begriffe gedacht, sondern eben nur, um sie zusammen zu gruppieren. Und für diesen Zweck mag ich "queer" mehr als bei "LGB" immer mehr Buchstaben anzuhängen oder viele Gruppen mit einem "+" zu einem Nachgedanken zu machen. Mir kommt der Begriff "queer" am häufigsten unter, wenn es um Anerkennung, Rechte, Toleranz, etc. geht und da ist es nunmal so, dass Menschen, die nicht hetero cis sind benachteiligt sind und (zusammen) für Gleichberechtigung kämpfen. Durch einen Sammelbegriff für die Gruppe, die um ihre Rechte kämpft, hat man eben eine größere Gruppe mit mehr Stimmen, als wenn man separat um Rechte für schwule, Rechte für lesbische, Rechte für trans-, Rechte für nichtbinäre Personen usw. kämpfen müsste.
Genau das. Sammelbegriff tut Sammeldinge. Hat seine Anwendungsfälle, und man kann wenn nötig präzisieren.
In der Praxis wird „queer“ oft als Ersatz verwendet.
Kannst du diesbezüglich vielleicht ein bestimmtes Beispiel nennen bei dem dir das negativ aufgefallen ist? Dann kann man vlt passender antworten!🤗
Das einzige was ich so sagen kann ist, dass es um Bezug auf historische Figuren oft eher als inappropriate gesehen wird, ihnen ein bestimmtes Label zu geben wenn sie sich nicht selbst so identifiziert haben.
Also, von vielen weiß man halt zb. nur, dass es ein Mann war der männer gedated hat. Ob er sich jetzt nach heutiger Definition als schwul, bisexuell, pansexuell etc. oder auch gar nichts davon bezeichnen würde, kann man ja nicht sagen. Deshalb sagt man oft "queer" um halt zu kommunizieren, dass die Person jedenfalls nicht cis und hetero war.
Sorry, ich verstehe glaube ich nicht, was du meinst. /gen
Als Ersatz für was?
Von wem wird es denn als Ersatz verwendet und in welchem Kontext?
Naja die präzisen Label existieren in dieser Form aber auch noch nicht so lange und sind eben auch erst vor kurzem kulturell gewachsen. Wenn man über historische Personen spricht, ist ein Label nach heutigem Verständnis oft gar nicht möglich, weil z.B. zwischen schwul, bi, trans gar nicht wirklich differenziert wurde.
Da ist es eben auch historisch korrekter einen Sammelbegriff wie queer zu wählen, weil es dem historischen Selbstverständnis viel mehr entsprechen würde als die differenzierten Label.
Das ist eher eine neuere Erfindung und ganz ehrlich, habe ich das Gefühl, das diese Trennungen auch gerne von Personen missbraucht werden, die versuchen uns zu spalten und so gegeneinander auszuspielen ala " divede and conquer!"
Da ist es gut sich hin und wieder an die gemeinsame Geschichte zu erinnern. Stonewall was a riot!
Naja, es ist ein Sammelbegriff.
Unter dem Schlagwort "politische Linke" kann man auch Linksliberale, Sozialdemokraten, Grüne, Demokratische Sozialisten, Anarchisten, Trotzkisten, Stalinisten, etc. fassen. Das ist nicht nur nicht "die gleiche Identität", die meisten diese Gruppen hassen sich untereinander. Trotzdem gibt es Kontexte, in denen es sinnvoll sein kann, alles was links der Mitte ist, zusammenzufassen.
Einzig das historische Argument kann ich nachvollziehen, da es ein bisschen anachronistisch wirkt. Ähnlich wie bei "Person of Colour": Im 19. Jahrhundert hat niemand (in den USA und anderswo erst Recht nicht) von Schwarzen und Asiaten als zusammenhänge Gruppe gedacht. Das ist ein modernen Denken, das man nur mit Vorsicht auf die Vergangenheit anwenden sollte.
Also ja, es gibt einen Sinn hinter Sammelbegriffen, es ist auch wichtig zu verstehen, dass es ein Sammelbegriff ist und die Nuancen der einzelnen Identitäten zu kennen.
Kontext ist für mich entscheidend. Wenn es um „nicht cisgender oder heterosexuell“ geht, ist queer vollkommen ausreichend, und über „empowering“ müssen wir nicht reden, wir sprechen deutsch und die Begriffsgeschichte ist dadurch anders. Wenn es um spezifische Gruppen geht, kann man die ja benennen.
Nur als Ergänzung zur Diskussion In den größeren Communities in Europa gibt es Unterschiede Frankreich: Dort ist „queer“ zwar bekannt (le queer), wird aber überwiegend im akademischen und theoretischen Kontext verwendet, z. B. im Zusammenhang mit théorie queer. Im Alltag und innerhalb der Community dominieren weiterhin konkrete Bezeichnungen wie gay, lesbienne, bisexuel·le, trans oder schlicht LGBT. Viele französische Aktivist:innen sehen „queer“ eher als angelsächsischen Import und empfinden den Begriff als zu vage oder zu theoretisch, um reale Identitäten zu ersetzen. Er wird also nicht selbstverständlich als Sammel- oder Identitätsbegriff genutzt.
Spanien: In Spanien existiert „queer“ ebenfalls, wird aber hauptsächlich in Kunst-, Uni- und Aktivismus-Kontexten benutzt. Im Alltag spricht man fast ausschließlich vom colectivo LGTBI und benennt sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sehr klar (bisexual, lesbiana, trans usw.). „Queer“ gilt dort eher als theoretischer oder kultureller Begriff, nicht als gängige Selbstbezeichnung für die breite Community. Was ich damit sagen will: Die starke, alltägliche Nutzung von „queer“ als Sammel- und Ersatzbegriff ist keine europaweite Selbstverständlichkeit, sondern stark kontextabhängig. In großen Communities wie Frankreich und Spanien ist Differenzierung völlig normal und steht nicht im Widerspruch zu Solidarität oder politischem Zusammenhalt.
Das ist der Teil den ich nicht kapiere. Wo siehst du da einen Widerspruch? Für mich ist es eher der explizite Zusammenhalt, desto wichtiger im Moment wo einzelne "Buchstaben" extrem unter Beschuss stehen. Sich da als Community zusammenzustellen hat für mich einen ganz entschiedenen Solidaritätsaspekt. (Und das Bewusstsein dafür, dass wenn heute das T die Zielscheibe ist, morgen das B dran ist, dann das G, und so weiter. Schau nur mal was mit dem Stonewall-Monument passiert ist.)
Ich stimme dir zu, dass es teilweise nicht gut durchdacht ist, vieles verwässert wird und vor allem weil nicht ganz klar ist warum Queer in der Auflistung zusätzlich auftaucht LGBTQ und in der Auflistung teils eine andere Bedeutung hat die zu Interessenskonflikten führen kann oder einer falschen Annahme. Vor allem habe ich das Gefühl dass öffentlich eine bestimmte Politik verfolgt wird, die sich nicht mit der Lebensrealität vieler homosexueller (Frauen-) Paare deckt. Ich finde es eher für meine Orientierung nicht gut durchdacht und sich das eher negativ auswirkt. Hab auch das Gefühl dass weniger anerkannt wird, dass sexuelle Orientierung etwas biologisches ist / sein kann (außer bei jenen die sich dazu entscheiden etwas zu sein zb ehemals heterofrauen die bücher schreiben „in 10 schritten lesbisch „werden“ was ja eine Entscheidung von ihr war) und queer eher als etwas beworben wird, was man entscheiden kann. Ich hab in queeren Räumen die gleichen Diskussionen, Fragen und Überrumpelung wie bei Heteros „Wieso probierst du dich nicht aus“. Entweder man findet seinen Weg oder nicht… ich persönlich finde dass Grenzverletzungen doppelt passieren. Fühle mich auch generell eher eingeschränkt meine Meinung zu sagen 😅 aber naja. Wir sind sowieso nicht diejenigen die irgendwas entscheiden dürfen, von daher. Ich hab aber auch den Eindruck, dass hetero Frauen uns immer häufiger mit Männern vergleichen und ich habe kein Bock herhalten zu müssen für deren Problemen in der Beziehung zumal wir unsere eigenen Probleme haben. Kommt dann schnell so rüber als würde die uns hetero Männer an den Hals jagen. Ich habe mich noch nie sexuell und romantisch für heterofrauen interessiert. Da fallen dann oft Sätze wie „Wenn Lesben uns nicht belästigen wieso belästigt ihr uns dann“ (finde man kann das einfach nicht vergleichen). Oder „Ich wäre lieber gerne lesbisch“ obwohl lesbenphobie auch von vielen heterofrauen ausgeht. Könnte zig Beispiele nennen.
Homosexuell wird immer öfter durch queer ersetzt auch in Lehrmaterialien und das finde ich für meine Existenz äußerst bedrohlich. Für Frauen die jünger sind ist auch Identitätsbildung wichtig und ich denke dass sie das nicht können wenn queere Fachstellen jetzt anfangen alles mit dem Wort queer zu ersetzen. Da werden doch safe wieder Frauen und Mädchen bei sein die Erfahrungen machen wo sie mit 30 feststellen dass sie die nie machen wollten. Bisschen wie einige heteros, die darauf bestehen alle hetero sind oder man erstmal hetero Erfahrungen machen soll als homosexuelle Frau / Mädchen