Der Anstieg der Armut macht besonders Sorgen, weil die Italiener im europaweiten Vergleich nach einer langen Durststrecke weiter wenig verdienen. Das Realeinkommen der Haushalte liegt durchschnittlich noch um vier Prozent unter dem Niveau von 2008, berichtet Eurostat; EU-weit ist es dagegen um 14 Prozent gestiegen. Italien bildet zusammen mit Griechenland das Schlusslicht Europas. Die Regierung macht dagegen geltend, dass sie viele Menschen in Arbeit gebracht habe. Der Beschäftigungsstand stieg zuletzt in der Tat auf das höchste Niveau seit Anfang 2004, und die Arbeitslosigkeit fiel auf sechs Prozent.

Am unteren Ende der Sozialskala hat sich freilich nichts verbessert. Allenfalls in Süditalien könnte der Anteil der Schwarzarbeit etwas gesunken sein, meint Maurizio Del Conte, Professor an der Universität Bocconi. Insgesamt wird die Armutsquote durch die Inklusionsbeihilfe ADI nur von 8,9 auf 8,3 Prozent gesenkt, schätzt die italienische Zentralbank; das Bürgergeld brachte sie dagegen auf 7,5 Prozent herunter. So ist die Zahl der Menschen in sogenannter absoluter Armut, deren Grenze jedes Jahr in Euro vom Statistikamt Insee berechnet wird, in den vergangenen zehn Jahren um etwa anderthalb Millionen auf 5,7 Millionen Personen gestiegen. In Süden des Landes ist sie am höchsten, doch im Norden ist sie am stärksten gestiegen. Die Regierung verschenkt an all jene ohne Sozialhilfe für 500 Millionen Euro im Jahr eine elektronische Lebensmittelkarte, die über die Wintermonate helfen soll. Doch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagen die Sozialarbeiter.

  • Italiens Problem ist nicht „zu viel Neoliberalismus“, sondern ein Mangel an produktivem Kapitalismus.
    Über Jahre wurden Reformen durch Verschuldung ersetzt und Wachstum durch Geldpolitik simuliert. Das stabilisierte kurzfristig Konsum und Transfers, erzeugte aber keine nachhaltige Wertschöpfung. Die Folge ist kein Beschäftigungsmangel, sondern ein strukturelles Produktivitäts- und Einkommensproblem: Viele neue Jobs sind niedrig bezahlt oder prekär, reale Löhne stagnieren, und Arbeit schützt zunehmend nicht mehr vor Armut.

    Wird unter diesen Bedingungen Sozialpolitik zurückgefahren – etwa durch den Ersatz umfassender Transfers durch restriktivere Instrumente wie ADI – ohne dass Produktivität, Investitionen und Löhne steigen, verschärft sich Armut trotz formal guter Arbeitsmarktstatistiken. Der entscheidende Punkt ist dabei nicht die Existenz von Schulden oder staatlicher Ausgaben an sich, sondern deren ökonomische Rendite. Schulden können Wachstum ermöglichen – wenn sie produktives Kapital schaffen. In Italien haben sie vor allem Zeit gekauft.

    Genau darin liegt die Parallele und Warnung für uns:
    Bleiben strukturelle Reformen, ein wettbewerbsfähiges Investitionsumfeld und Anreize für produktive Arbeit aus, kann auch hier Beschäftigung steigen, während reale Einkommen stagnieren.

    Die Hauptlast trägt die junge Generation. (Siehe die unzähligen Beiträge auf Reddit)
    Sie ist mit steigendem Lohndruck, sinkenden Aufstiegschancen und einem anhaltenden Kapitalabfluss konfrontiert. Investitionen fließen dorthin, wo Planungssicherheit, Renditeerwartung und Produktivität höher sind. Das ist kein Marktversagen, sondern die rationale Reaktion von Kapital auf schlechte Rahmenbedingungen.

    Aktuell zeigt sich das konkret darin, dass Reallöhne – insbesondere für jüngere Beschäftigte und Berufseinsteiger – wieder unter Druck geraten, während gleichzeitig die Zahl hochwertiger, produktiver Stellen langsamer wächst als das Arbeitsangebot. In einem solchen Umfeld verschiebt sich die Verhandlungsmacht zugunsten der Arbeitgeber.

    Das Ergebnis ist kein individuelles Fehlverhalten, sondern ein struktureller Effekt:
    Wenn Investitionen ausbleiben und Produktivität nicht steigt, konkurrieren Arbeitnehmer stärker um begrenzte hochwertige Stellen, was die Lohnentwicklung dämpft – selbst bei formal guter Beschäftigungslage.

  • Man kann ja Melonis Politik kritisieren, Ich mit Recht, aber ehrlicherweise kann sie nichts für das immernoch geringe Lohnniveau in Italien l, welches nach 2008 so stark gefallen ist.