Immer mehr Menschen wollen den Rundfunkbeitrag für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) nicht mehr zahlen und sind bereit, dafür auch den Klageweg zu beschreiten. Entsprechend ist an Verwaltungsgerichten in ganz Deutschland eine regelrechte Klagewelle zu beobachten. Als zentraler Treiber kann dabei die ÖRR-kritische Plattform Beitragsstopper gelten. Sie wirbt damit, kostenpflichtig „alle juristischen Schreiben und klare Schritt-für-Schritt-Anleitungen“ bereitzustellen, um „dem Zwangsbeitrag organisiert entgegen“ zu treten.
Kunden erhalten auf diesem Weg einen über 200 Seiten langen Schriftsatz, mit dem sie zunächst Widerspruch gegen den Festsetzungsbescheid der Rundfunkanstalten einlegen und nach dessen Zurückweisung Klage erheben können. Nach Angaben von Markus Bönig, dem Betreiber der Plattform, sollen auf diese Weise bereits rund 10.000 Verfahren an deutschen Gerichten anhängig geworden sein.
Allein beim Bayerischen Rundfunk (BR) sind bis dato rund 1.680 derartige Klagen eingereicht worden, wie der Sender auf Nachfrage gegenüber Apollo News mitteilt. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) bestätigt, dass sich die Klageeingänge dort in einer vergleichbaren Größenordnung bewegten. Um die Vielzahl der Verfahren bewältigen zu können, werden sie von den Gerichten nach Möglichkeit gebündelt. Das ist in Verwaltungssachen zulässig, wenn die Verfahren inhaltlich übereinstimmen. Nicht ruhend gestellte Verfahren wurden bislang allesamt abgewiesen. Die Gerichtskosten in Höhe von 114 Euro wurden den Klägern auferlegt.
Bereits im Jahr 2022 entwickelte das ÖRR-kritische Aktionsbündnis Leuchtturm ARD gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Rechtsanwalt Friedemann Willemer den Plan, die Beitragspflicht mit Verweis auf die unzureichende Programmqualität des ÖRR – insbesondere aufgrund fehlender Vielfalt und Ausgewogenheit – juristisch anzufechten. Auf dieser Grundlage sind laut Jimmy Gerum, Gründer von Leuchtturm ARD, allein von 2022 bis 2024 bereits ca. 300 Prozesse geführt worden.
Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Pilotverfahren einer anonymen Klägerin aus Bayern, das Friedemann Willemer als Verfahrensbevollmächtigter betreute und in enger Abstimmung mit Leuchtturm ARD im August 2022 initiiert wurde. Gerum zufolge hat er die Klägerin persönlich dazu bewegt, den Prozess durch alle Instanzen zu bestreiten und ihr dabei Unterstützung zugesichert.
Zwar scheiterte die Klage in den ersten beiden Instanzen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als Berufungsinstanz stellte in seinem Urteil fest, dass Programmbeschwerden nicht vor die Gerichte gehörten, sondern über die Aufsichtsgremien der Rundfunkräte zu behandeln seien. Das Bundesverwaltungsgericht ließ jedoch am 23. Mai 2024 die gegen dieses Urteil gerichtete Revision zu, was einen Wendepunkt im Verfahren markierte.
Am 15. Oktober dieses Jahres wurde schließlich über die Revision entschieden und das Urteil der Vorinstanz aufgehoben. Das Gericht stellte klar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht bloß ein Testbild senden dürfe, sondern an qualitative Mindeststandards gebunden sei – und dass gegen deren Nichteinhaltung grundsätzlich der Rechtsweg offensteht. Das Verfahren wurde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Dort hat die Klägerin nun die Möglichkeit, darzulegen und zu belegen, dass der ÖRR die qualitativen Standards seines Programmauftrags nicht einhält.
Die Initiatoren des Pilotverfahrens sind heute im ÖRR-kritischen Bund der Rundfunkbeitragszahler organisiert. Neben Leuchtturm-Gründer Jimmy Gerum gehören dem Zusammenschluss auch Harald von Herget, der nach dem Tod von Friedemann Willemer im Oktober 2024 die Prozessvertretung übernahm, sowie Beitragsstopper-Gründer Markus Bönig an, der das Pilotverfahren zumindest in der Revision finanziell unterstützte. Zu den Erstunterzeichnern des Gründungsmanifests zählen zudem namhafte Personen wie Roland Tichy, Hans-Georg Maaßen und das AfD-Gründungsmitglied Konrad Adam.
Die politischen Ansichten der Beteiligten sind dabei keineswegs einheitlich. Ein Teil verfolgt das Ziel, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich abzuschaffen und ihm ein stärker privatwirtschaftlich geprägtes Mediensystem entgegenzusetzen. Andere hingegen wollen den ÖRR reformieren und ihn nach ihrem Verständnis „demokratischer“ gestalten. Gerum wiederum kritisiert vor allem, dass aus seiner Sicht in der derzeitigen Berichterstattung zu militärischen Konflikten zu wenig Friedensperspektiven vorkämen und stattdessen ein zu starker Fokus auf „Kriegstüchtigkeit“ liege.
Seit dem Urteil vom 15. Oktober 2025 ist der Andrang auf Seiten der ÖRR-kritischen Interessenvertreter besonders groß. Harald von Herget und der zum Anwaltsteam gehörende Carlos A. Gebauer bestätigen auf Nachfrage gegenüber Apollo News, dass sie seitdem in erheblich größerem Umfang anwaltliche Anfragen erhalten. „Wir werden seitdem von derartigen Anfragen förmlich überrannt“, sagt Gebauer. Es spricht daher vieles dafür, dass die Klagewelle an den Verwaltungsgerichten nach der Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch einmal deutlich an Intensität gewonnen hat. Belastbare Zahlen liegen hierzu bislang jedoch nicht vor.
Trotz des für Kritiker des ÖRR positiven Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts gibt es auch ernüchternde Aspekte. Der organisatorische und finanzielle Aufwand, der für einen Kläger entsteht, der die mangelnde Qualität des ÖRR belegen will, ist enorm. Das Gericht hat klargestellt, dass der Kläger darlegen und nachweisen muss, dass das Gesamtprogramm des ÖRR über einen „längeren Zeitraum“ – konkret zwei Jahre – hinweg erheblich defizitär gewesen sein muss.
Daher wäre in jedem Verfahren ein umfangreiches Gutachten nötig, das das ÖRR-Programm über zwei Jahre hinweg vollständig erfasst, auswertet und dabei erhebliche Verstöße gegen qualitative Mindeststandards belegt. Für eine Einzelperson ist das faktisch kaum zu leisten. Das Portal Telepolis spricht in diesem Zusammenhang treffend von einem „praktischen Nadelöhr“. Bönig schätzt die Kosten eines solchen Gutachtens auf rund eine Million Euro.
Naheliegend wäre daher die Erstellung eines großen, gemeinschaftlich finanzierten Gutachtens, das anschließend in mehreren Verfahren genutzt werden könnte. Beitragsstopper wirbt bereits unter Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts um Spenden. Von Herget hält ein solches Vorhaben zwar für äußerst anspruchsvoll, aber für grundsätzlich denkbar.
Erschwerend kommt hinzu, dass die für ein Gutachten maßgeblichen Zeiträume von Fall zu Fall variieren. Die Programmanalyse muss jeweils die letzten zwei Jahre vor Klageerhebung abdecken. Da die Kläger zu unterschiedlichen Zeitpunkten klagen, fallen die erforderlichen Gutachten entsprechend individuell aus. Eine mögliche Lösung wäre, im Rahmen eines gemeinschaftlich finanzierten Gutachtens einen deutlich längeren Gesamtzeitraum zu untersuchen.
Nach Auffassung von Harald von Herget wird es mehrere Pilotverfahren für die unterschiedlichen Betrachtungszeiträume geben. Diese könnten von einem gemeinschaftlich erarbeiteten Gutachten profitieren, das auch anderen Klägern zugutekäme, weil sich die Kosten dadurch auf viele Schultern verteilen ließen.
Bönig erklärt, dass die bestehenden Beitragsstopper-Verfahren im Rahmen von Klageerweiterungen um Beitragsbescheide aus einem bestimmten, klar definierten Zeitraum ergänzt werden sollen, der in allen Verfahren identisch ist. Dadurch ließe sich der maßgebliche Referenzzeitraum vereinheitlichen und der für das jeweilige Gutachten relevante Untersuchungszeitraum in den Verfahren synchronisieren. Das würde es erleichtern, der Gutachtenanforderung nachzukommen, weil sich ein gemeinsames Gesamtgutachten auf denselben Zeitraum beziehen könnte.
Ein weiterer problematischer Aspekt ist, dass selbst ein Erfolg vor Gericht keine dauerhafte Befreiung von der Beitragspflicht bewirken würde. Die Entscheidung wirkt vielmehr nur rückwirkend bezogen auf die bereits festgesetzten Zeiträume. Selbst wenn ein Gericht also feststellt, dass das Programm in den zwei Jahren vor Einreichung der Klage so defizitär gewesen sei, dass der Beitrag dafür nicht geschuldet ist, müsste der Kläger für die nachfolgenden Zeiträume erneut klagen.
Einige laufende Verfahren leiden zudem darunter, dass Richter nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts den Klägern nicht die nötige Zeit einräumen, um auf ein gemeinschaftlich erstelltes Gutachten zurückgreifen zu können. Stattdessen wird eine zeitnahe Vorlage eines Gutachtens verlangt, was die Kläger wiederum organisatorisch und finanziell überfordert.
Carlos A. Gebauer sieht zudem herausfordernde inhaltliche Hürden für eine erfolgreiche Klage. Es reiche seiner Einschätzung nach nicht aus, einzelne problematische Sendungen herauszugreifen. „Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass für die Feststellung einer Rechtswidrigkeit von Rundfunkleistungen nicht einzelne Sendungen maßgeblich sind, sondern das Gesamtprogramm als solches“, kritisiert er gegenüber Apollo News.
Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts heißt es dazu: „Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beitragspflicht ist (…) noch nicht in Frage gestellt, wenn das öffentlich-rechtliche Programmangebot nur vereinzelt oder punktuell in ein Missverhältnis zu den verfassungsrechtlichen Zielvorgaben gerät. Vielmehr ist erforderlich, dass das Ziel eines vielfältigen und ausgewogenen Programmangebots evident und regelmäßig verfehlt wird.“
Gerum hingegen blickt insgesamt eher positiv auf das bislang Erreichte. Er hat den Eindruck, dass die bisherigen Erfolge bereits spürbaren Druck auf den ÖRR ausüben. Das habe sich für ihn seitdem in Gesprächen mit NDR-Vertretern deutlich gezeigt: „Allein, dass die Ausgewogenheit der Berichterstattung nun Gegenstand von Gerichtsverfahren sein kann, hat einiges in Bewegung gesetzt. Das spürt man. Die sind jetzt vorsichtiger“, gibt er gegenüber Apollo News an.
Das weitere gerichtliche Vorgehen könnte die Verwaltungsgerichte zudem dazu veranlassen, sich – unter Rückgriff auf wissenschaftliche Maßstäbe – vertieft sowohl mit der Prozessqualität als auch mit der Ergebnisqualität der Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt zu befassen. Dabei könnten sie Kriterien entwickeln, an denen sich der ÖRR künftig messen lassen müsste.
„Damit müsste der ÖRR Qualitätsaufzeichnungen vorlegen und damit nachweisen, dass sein Qualitätsmanagementsystem sach- und fachgerecht angewendet wurde. Für die Vergangenheit fehlt es daran nach gegenwärtigem Stand. Für die Zukunft wäre das ein großer Schritt“, sagt von Herget.
Unabhängig vom weiteren Verlauf des Pilotverfahrens zeigt sich jedenfalls, dass die Klagen spürbar etwas in Bewegung gesetzt haben. Ohne die Vielzahl der Verfahren und die damit verbundene Belastung der Gerichte wäre es vermutlich nicht zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Form gekommen. Welche langfristigen Folgen sich daraus ergeben, bleibt abzuwarten.