(welt.de)
Artikeltyp:MeinungAggressive Raubtiere
Die wahre Geschichte hinter der Wende in der Wolfspolitik
Stand: 14:01 UhrLesedauer: 6 Minuten
Jahrzehntelang behaupteten grüne NGOs und Brüsseler Bürokraten, die explosionsartige Ausbreitung des Wolfs sei ungefährlich. Dass der Bund das Raubtier nun endlich doch zum Abschuss freigibt, hat weniger mit Angriffen auf Kinder zu tun als mit Ursula von der Leyens Lieblingspony.
Ein Irrglauben, der im ländlichen Raum lange kursierte, lautet etwa so: „Erst wenn das erste Kleinkind von einem Wolf auf dem Weg in den Waldkindergarten angegriffen wird, schwenken die Medien ein – und die Politik kommt zur Vernunft.“
Dass dies ein Trugschluss ist, zeigte sich im Sommer 2025, als ein niederländisches Elternpaar bei einem Waldspaziergang bei Utrecht um ein Haar ihr Kind an einen hungrigen Wolf verlor – und in Deutschland kaum ein Hahn danach krähte. Den in der Wolle grün gefärbten Umweltressorts von A wie ARD bis Z wie ZDF war der Vorfall kaum eine Meldung wert. Dass da ein sechsjähriger Knirps zwei Autostunden vom Ruhrgebiet entfernt von einem zentnerschweren Wolfsrüden in einen Busch gezerrt wurde; dass das Tier ihm schwere Bisswunden an Achsel, Brust, Rücken und Gesicht zufügte; dass es sich nur durch verzweifelte Stockhiebe zweier Spaziergänger vertrieben ließ; all das wurde journalistisch genauso beharrlich bagatellisiert, wie jede Einordnung dieses Zäsur-Ereignisses fehlte.
Denn hier war passiert, was laut grünem „NGO-Komplex“ nie hätte passieren dürfen.
Eineinhalb Jahrzehnte lang hatten sich auf dem Land lebende Niedersachsen, Brandenburger, Westfalen, Hessen, Rheinländer, Bayern oder Sachsen in ihren gebührenfinanzierten Lokalsendern Woche für Woche ansehen und anhören müssen, dass Wölfe angeblich gut fürs Klima sind – und kleine Kinder nicht mit kleinen Frischlingen verwechseln. Warum all diese armen Leute jetzt unnötig beunruhigen?
4000 zerfetzte Rinder, Schafe, Pferde und Ziegen
Weshalb in Gottes Namen also die ebenfalls für Realitätsflucht berüchtigte Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der ab Juli 2026 die Bejagung des Wolfs in ganz Deutschland ermöglichen soll, bedarf einer tiefer gehenden Analyse. Sind der hölzerne Alois Rainer (Landwirtschaftsminister, CSU) und der farblose Carsten Schneider (Umweltminister, SPD) etwa von allein zu der Einsicht gelangt, dass sich unsere mittlerweile weltweit höchste Wolfsdichte kaum noch von selbst reduzieren wird? Eher unwahrscheinlich.
Auslöser war wohl ein anderer Vorfall, der medial ebenfalls kaum Beachtung fand – und doch tektonische Wirkung entfaltete. In einer dunklen Septembernacht 2022 schlich Problemwolf „GW950“ um einen Paddock in Beinhorn, nahe Hannover. Dort erblickte er ein altes Pony. Und weil so ein hungriger Lupus sich weder für Gefühle noch für Politik interessiert, traf er eine folgenreiche Entscheidung – und biss dem armen Pony die Kehle durch. Es hieß Dolly.
An sich gehören solche Nutztierrisse zwischen Cuxhaven und der Zugspitze längst zum traurigen Alltag. Über 4000 zerfetzte Rinder, Mutterkühe, Kälber, Schafe, Pferde und Ziegen fanden Deutschlands Tierhalter im letzten Jahr auf ihren Weiden. Die Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren ebenso verzehnfacht, wie die Anzahl der Wölfe und die Kosten für Herdenschutz, der inzwischen über 100 Millionen Euro Steuergeld vernichtet hat.
All die verzweifelten Bauernproteste, Fackelmärsche und sinnlosen Dorfgemeinschaftssitzungen der letzten Dekade stießen in Brüssel samt und sonders auf taube Ohren. Dort wachten entkoppelte Bürokraten mit Argusaugen über ihre heiligen FFH-Richtlinien und den höchstmöglichen Schutzstatus eines Raubtieres, das in Europa eigentlich nie bedroht war. Es war erst jener graue Morgen im noch graueren Hannover, der die Wende brachte. Als die erschütterten Tierhalter von Beinhorn Dollys Leichnam auf ihrer Weide entdeckten, änderte sich plötzlich alles. Denn Dolly war nicht irgendein Nutztier, sondern das Lieblingspony von Ursula von der Leyen, der mächtigsten Politikerin Europas.
Nach einem Jahr strategischen Schweigens ergriff die EU-Kommissionspräsidentin im September 2023 die Initiative – und wie. Obwohl sie sich noch nie in ihrer abwechslungsreichen Karriere für „Canis lupus“ interessiert hatte, erklärte sie den Wolf aus heiterem Himmel zur „echten Gefahr für Nutztiere und möglicherweise auch für Menschen“. Was folgte, war eine politische Kaskade von für Brüsseler Verhältnisse rasanter Dynamik: Zunächst wies die Kommission den Ministerrat an, den Schutzstatus des Wolfs überprüfen zu lassen. Daraufhin wurde die Berner Konvention geändert, kurz darauf die FFH-Richtlinie angepasst – und im Sommer 2025 trat eine neue EU-Regelung in Kraft, von der 15 Jahre lang kein Bauer, kein Jäger und kein Schäfer auf diesem Kontinent mehr zu träumen wagte: Der Wolf ist seit letztem Sommer nicht mehr streng geschützt – und die Mitgliedsstaaten haben plötzlich nur noch zwei Jahre Zeit, um daraus nationales Recht zu schaffen.
Da Deutschland bekanntlich besonders eilfertig auf Brüsseler Anordnungen reagiert, hat die schwarz-rote Koalition bereits ein Gesetz zur Bejagung des Wolfes vorgelegt, das noch vor der Sommerpause Bundestag und Bundesrat passieren soll.
Es beruht auf zwei Säulen: Erstens dürfen Bundesländer mit „günstigem Erhaltungszustand“ sofort eigene Abschusskontingente festlegen. Zweitens soll die Bejagung von „Problemwölfen“ auch außerhalb der neuen Jagdzeit von Anfang Juli bis Ende Oktober rigoros erlaubt sein – und zwar bis zu 20 Kilometer vom Rissgeschehen. Das schafft Rechtssicherheit und klare Zuständigkeiten. Klar ist auch: Die in die Pflicht genommene Jägerschaft kann und wird keine Nutztierverluste durch den Wolf ersetzen, so wie sie bisher auch Schäden von Saatkrähen, Bibern oder Graugänsen nicht ersetzen musste.
Was die Zählstellen nicht mitzählen
Die höchsten Abschusskontingente dürften in Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, NRW, Thüringen und Hessen anfallen. Ein großes Problem bleiben allerdings die dauer-veralteten und völlig defensiv ermittelten Bestandszahlen. Eine extra geschaffene „Bundesberatungsstelle Wolf“ dokumentiert nämlich schon seit Jahren genetisch nur eindeutig nachgewiesene Rudel – ignoriert aber all jene Wölfe, deren genetischer Fußabdruck zwar bekannt, aber keinem Rudel zugeordnet werden kann.
Genauso unsichtbar wie Hunderte von „Geisterwölfen“, die überall im Land auf Wildkameras auftauchen, wo doch angeblich noch gar keine Wölfe vorkommen sollen, bleiben die Jungtiere des jeweils aktuellen Jahres, die ja den relativ größten Teil an der Gesamtpopulation ausmachen – denn die Zählstelle zählt sie schlicht nicht mit. Die jüngst bekannt gegebene Zahl von 1600 Wölfen ignoriert somit bewusst mindestens die Hälfte der existierenden Population. Da im gesamten Bundesgebiet bereits Mitte 2026 inklusive neuem Zuwachs eher 4000 Wölfe leben werden und der vorhandene Bestand bereits jetzt dringend reduziert werden muss, wäre ein Gesamtabschuss von mindestens 1000 Wölfen ab Juli 2026 dringend geboten.
Dadurch sinkt zum einen die wachsende Gefahr einer Verbreitung der Räude, Staupe und der Tollwut unter den weit umherziehenden Großraubtieren, die sich jederzeit auch bei noch viel zahlreicheren Raubsäugern, wie etwa dem millionenfach vorhandenen Waschbär mit diesen gefährlichen Viruserkrankungen anstecken können. Zudem wird durch die flächendeckende Bejagung alsbald bei den Wölfen eine messbar höhere Menschenscheue einsetzen. Wölfe haben in westlichen Kulturlandschaften immer dann eine dauerhafte Perspektive, wenn sie sich von menschlichen Siedlungen fernhalten. Da sie sehr schlau sind, werden sie das alsbald lernen, und die Probleme werden zurückgehen.
Dass die bei uns lebenden Wölfe auch künftig einen Teil unserer Rehe, Wildschweine und Junghirsche als Nahrungsgrundlage beanspruchen, stellt für die an allen Ecken und Enden mit Seuchenschutz (afrikanische Schweinepest), Waldumbau (Rehwildabschuss) und Fallenjagd (Waschbär-Ausbreitung) beschäftigte Jägerschaft das geringste Problem dar.
Gut ein Drittel der BRD besteht aus entvölkerten Truppenübungsplätzen und großen Landesforsten. Vor allem dort kann sich in Zukunft eine Wolfspopulation etablieren, deren Arterhaltungszustand ohnehin niemand gefährden kann und die immer nur dann scharf bejagt werden muss, sobald sie sich Weiden, Siedlungen, Schafen oder Kleinkindern nähert.
Nach fast zwanzig Jahren grüner Wolfsideologie, exzessiver Verwaltungsbürokratie, unzählbaren Wolfsmanagementplänen, Herdenschutzverordnungen, Wolfsbeauftragten und Nabu-Wolfspatenschaften kehrt nun endlich wieder die Vernunft ein. Dass dafür ausgerechnet unsere EU-Kommissionspräsidentin ihr geliebtes Pony opfern musste, entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik.
Ab sofort jedenfalls heißt es: Willkommen Wolf – auf dem Abschussplan.
Lucas von Bothmer ist Land- und Forstwirt aus Niedersachsen. Er ist Verleger und Chefredakteur des Jagdmagazins „Der Überläufer“ sowie Mitherausgeber des „Deutschen Waffen-Journal“.